Felines Leukämievirus (FeLV)

Ätiologie

Das feline Leukämievirus (FeLV) gehört, zusammen mit dem felinen Immunschwächevirus (FIV) und dem felinen Spumavirus (FSV), zu den Retroviren. Diese sind bei ihrer Replikation darauf angewiesen, das virale Genom, ein RNA-Molekül, in eine DNA „zurückzutranskribieren“, die anschließend in die Wirtszell-DNA eingebaut wird. FeLV-Partikel besitzen eine Hülle aus einer Lipid-Doppelmembran und enthalten im Innenkörper die sogenannten „gruppenspezifischen Antigene“, zu denen auch das p27-Protein gehört. FeLV ist streng speziesspezifisch und infiziert nur Hauskatzen und wenige andere wildlebende Feliden.

Epidemiologie

FeLV ist auf der ganzen Welt mit ähnlichen Infektionsraten zu finden. Etwa 2 bis 10 % der Katzenpopulation in Europa sind FeLV-infiziert. Die Prävalenz nahm in den letzten 20 Jahren weltweit ab, in Deutschland von etwa 5 % auf etwa 2 %. Der Grund für diese Abnahme sind die vermehrte Testung und Separation vonprogressiv FeLV-infizierten Katzen sowie die Impfung. Die Prävalenz der FeLV-Infektion hängt jedoch nach wie vor von der Haltungsform ab. Vor allem Katzen in nicht kontrollierten Mehrkatzenhaushalten und Katzen mit freiem Auslauf gehören den Risikogruppen an. Junge Katzen sind empfänglicher als alte Katzen und entwickeln häufiger eine progressive Infektion. Es gibt eine Altersresistenz gegen FeLV, deren Ursprung vermutlich auf zellulärer Ebene liegt. Die Ausscheidung des FeLV erfolgt vor allem mit dem Speichel einer infizierten Katze. Außerhalb des Wirts ist das Virus nur Minuten überlebensfähig. Die Übertragung erfolgt daher nur durch engen Kontakt zu infizierten Tieren. Das Virus wird oronasal aufgenommen. Eine Übertragung kann vor allem bei gegenseitigem Beschnuppern, bei Benutzung gemeinsamer Futter- und Kotplätze, bei gegenseitiger Fellpflege und durch Biss- und Kratzwunden erfolgen. Eine Infektion von Welpen durch das Muttertier findet diaplazentar, über die Muttermilch oder bei der Pflege statt. Eine Virusübertragung durch Bluttransfusion ist ebenfalls möglich. Eine indirekte Übertragung kann, wegen der kurzen Überlebenszeit des Erregers in der Außenwelt, weitgehend ausgeschlossen werden.

Pathogenese

Bei einer FeLV-Infektion müssen verschiedene Verlaufsformen unterschieden werden. Nach Virusaufnahmen kommt es zu einer abortiven, regressiven oder progressiven FeLV-Infektion. Diese drei Formen werden unterschieden durch den Nachweis von freiem Antigen (mittels ELISA oder ähnlichen Immunochromatographie-Tests), von Provirus (in das Wirtszellgenom integrierte DNA) (mittels PCR) und von Antikörpern. Nach einer Infektion, die meist oronasal erfolgt, kommt es zunächst zu einer Vermehrung in lymphatischen Geweben in der Nähe der Eintrittspforte. Vielen (30 bis 50 %) Katzen gelingt durch eine effektive Antwort des zellulären und humoralen Immunsystems eine Unterdrückung der Entstehung einer Virämie. Diese abortiv infizierten Katzen (Antigennegativ, Provirusnegativ, hohe Antikörper) sind nie virämisch, aber geschützt vor Neuinfektion. Vermutlich ist eine komplette Elimination des Virus nach Infektion nicht möglich, sondern FeLV bleibt bei jeder einmal infizierten Katze als provirale DNA irgendwo im Körper vorhanden (ist jedoch mit indirekten Nachweismethoden nicht zu entdecken). Ist das Immunsystem nicht in der Lage, das Virus in Schach zu halten, entwickeln die infizierten Katzen eine Virämie, in der die Viren mit Lymphozyten und Monozyten in der Blutbahn gelangen. Während der Virämie sind die Katzen Antigenpositiv und scheiden das Virus auch aus. Gewinnt das Virus den ersten „Entscheidungskampf“ gegen das Immunsystem, erreicht die Infektion nach etwa drei Wochen das Knochenmark. Dann werden auch FeLV-infizierte Granulozyten und Thrombozyten im Blut gefunden. Sind die Katzen in der Lage, eine effektive Immunantwort aufzubauen und die Virämie zu beenden, wird diese Virämie dann als „transiente Virämie“ bezeichnet. Katzen beenden die transiente Virämie meist in den ersten drei Wochen, spätestens aber nach maximal sechzehn Wochen. Ist das Knochenmark bereits infiziert, kann das Virusgenom nicht mehr vollständig eliminiert werden, und es kommt zu einer regressiven Infektion (Antigennegativ, Proviruspositiv, hohe Antikörperspiegel). Bei dieser regressiven Infektion ist nur die Virus-DNA als so genanntes „Provirus“ in die chromosomale, zelluläre DNA des Wirtes integriert. Virusneutralisierende Antikörper halten das Virus von einer Replikation ab. Diese Katzen können durch Immunsuppression (z. B. Stress, Therapie mit Glukokortikoiden) wieder zu „Virämikern“ werden und dann im Antigen-Nachweis positiv reagieren und Virus ausscheiden. Bei manchen Katzen erfolgt die Reaktivierung erst nach vielen Jahren. Dies sind z. B. reine Wohnungskatzen, die nach vielen Jahren plötzlich Antigen-positiv werden. Ist die Immunantwort ungenü- gend und reicht nicht aus, um die Virämie zu beenden, so gelten die Katzen als progressiv infiziert (Antigenpositiv, Proviruspositiv, keine oder niedrige Antikörperspiegel). Diese Katzen bleiben in der Regel lebenslang Antigenpositiv. Die Lebenserwartung dieser Katzen ist kürzer als die nicht-infizierter (oder regressiv oder abortiv infizierter) Katzen. Sie sterben meist innerhalb von drei bis fünf Jahren an FeLV-assoziierten Krankheiten. Junge Katzen entwickeln häufiger eine progressive Infektion als erwachsene Katzen, bei denen aufgrund der Altersresistenz eine progressive Infektion nach Erstinfektion sehr selten vorkommt.

Klinik

Das klinische Bild der FeLV-Infektion ist vielfältig. Abortiv und regressiv infizierte Tiere zeigen in der Regel keine Symptome. Auch eine progressive FeLV-Infektion kann lange Zeit ohne Symptome verlaufen. Später können bei progressiv infizierten Tieren FeLV-assoziierte Krankheiten auftreten. Die klinischen Veränderungen sind vor allem abhängig von sekundär auftretenden Krankheiten. Tumore und nichtneoplastische FeLV-assoziierte Krankheiten (Immunsuppression, Knochenmarksuppression, immunmediierte Krankheiten, Fortpflanzungsstörungen, Neuropathien etc.) werden unterschieden. FeLV besitzt kein eigenes Onkogen und hat selbst kein onkogenes Potential, kann aber über verschiedene Mechanismen eine Tumorentstehung auslösen. FeLV verursacht vor allem Lymphome. Selten sind Fibrosarkome, ausgelöst durch das feline Sarkomvirus (FeSV), einer aus Rekombination entstehenden FeLV-Variante. FeSV-bedingte Fibrosarkome sind meist multizentrisch lokalisiert (anders als die solitär an Injektionsstellen auftretende feline injection site sarcomas (FISS)). Auch andere Tumore, wie Osteochrondromatosen (multiple Knorpelwucherungen bevorzugt an flachen Knochen), Hauthörner (gutartige Neoplasien von Keratozyten) und olfaktorische Neuroblastome (aggressive, metastasierende, histologisch sehr inhomogene Tumore des Riech- und Geschmackepithels der Nase und des Rachens) sind bei FeLV-infizierten Katzen beschrieben. Nichtneoplastische FeLV-assoziierte Krankheiten sind häufiger als Tumore. Die wichtigste Folge der FeLV-Infektion ist eine Immunsuppression. Dadurch sind FeLV-infizierte Katzen prädisponiert für sekundäre Infektionen. Knochenmarksuppression kann direkt durch FeLV-Vermehrung im Knochenmark oder Integration des Provirus in Knochenmark-Vorläuferzellen hervorgerufen werden. Außerdem kann die Knochenmarksuppression Folge von Leukämien oder Lymphomen, mit Verdrängung von blutbildenden Vorläuferzellen im Knochenmark, sein. Folge der Knochenmarksuppression sind Anämie, die oft hochgradig ist, seltener auch Thrombozytopenie und/oder Neutropenie. Neuropathien sind eine weitere Folge progressiver FeLV-Infektionen. In manchen Fällen sind neurologische Symptome bei FeLV-infizierten Katzen auf Kompressionen durch Lymphome und lymphatische Infiltrationen im Gehirn oder Rückenmark zurückzuführen. Zudem kann FeLV selbst neurotoxisch sein. Durch die Neurotoxizität ausgelöste Symptome sind Anisokorie, Mydriasis, zentrale Blindheit und Horner-Syndrom. Fortpflanzungsstörungen können ebenfalls Folge einer FeLV-Infektion sein. Bei trächtigen progressiv infizierten Kätzinnen treten Fruchtresorption, Aborte, Totgeburten oder Tod der Jungtiere kurz nach der Geburt auf. Überleben die Welpen, kann es zum „fading kitten syndrom“ kommen, welches das Kümmern von progressiv infizierten lebensschwachen Welpen beschreibt

Prophylaxe

Die Prophylaxe beruht auf der Erkennung von progressiv infizierten Katzen und deren Separierung sowie der  Impfung. Die Impfung schützt nur vor einer progressiven Infektion, nicht vor einer abortiven oder regressiven Infektion. Die meisten Impfstoffe sind für eine Grundimmunisierung zweimal im Abstand von 3 bis 4 Wochen mit anschließender Jahresimpfung zugelassen. Danach sind, vor allem wegen der Altersresistenz gegen progressive Infektionen, Impfungen im Abstand von 3 Jahren ausreichend. Bei den meisten älteren Katzen ist eine Impfung vermutlich nicht mehr nötig. Es gibt eine epidemiologisch bewiesene Verbindung zwischen FeLV-Impfung (und Tollwut-Impfung) und der späteren Entwicklung von FISS, die vermutlich darin begründet ist, dass fast alle FeLV- und Tollwutvakzinen Adjuvantien enthalten. Die FISS-Inzidenz liegt bei 1:1.000 bis 1:10.000 Impfungen. Um das Risiko von FISS zu minimieren, sollten nur Katzen geimpft werden, die ein hohes Risiko für eine progressive Infektion haben, also vor allem junge freilaufende Katzen. Bereits FeLV-infizierte Katzen (progressiv, regressiv oder abortiv infiziert) sollten nicht geimpft werden, da die Impfung in diesen Fällen nutzlos ist. Es gibt inzwischen zugelassene Vektor-Impfungen ohne Adjuvans, die den adjuvanshaltigen Impfstoffen vorzuziehen sind.

Dieser Test basiert maßgeblich auf der Leitlinie zur Impfung von Kleintieren, 4. Auflage, Stand 03.03.2017